2006
Der Raumklang
Ein staunenswertes Faszinosum neben der umfangreichen Windversorgung ist die weitverzweigte und dennoch hochsubtil den ästhetischen und künstlerischen Willen übertragende Spielmechanik. Vom Spieltisch ausgehend muss durch sie in den hintersten Winkeln der ausgedehnten Klangmaschine zeitgleich die Tastenbewegung in eine Ventilbewegung übersetzt werden – bei machbarem Kraftaufwand und stimulierender Fühlbarkeit des spielerisch bewegten Klangs. So ist bei feiner mechanischer Traktur ausdrucksklar die An- und Absprache des Klangs, mithin das „Anschlagen“ und noch differenzierter das „Loslassen“ der Taste vernehmbar. Allein die hinter den Tasten sich ausbreitende Traktur und Koppelanlage erfordert die voll volle Konzentration des darauf spezialisierten Orgelbaumeisters für ein gesamtes Arbeitsjahr. Nebenbei sind die Anforderungen an das dabei verarbeitete feinjährige Fichtenholz aus Hochlagen mit dem Wuchs stark retardierenden Wachstumsbedingungen enorm.
weiterführende Literatur
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Skulpturaler Raumklang
2006
Zum Aufbau der Orgel
Auf der Empore stehen wir mittig vor dem Spieltisch, der eigentlichen Schaltzentrale mit den klar angeordneten drei Manualen, mit den vielen Tasten für das Spiel der Hände und dem Pedal für das Spiel der Füße. Rechts und links davon sieht man die Reihen mit den Registerzügen, mit denen die gewünschten Klangfarben wie Aromen aus einem großen Gewürzschrank ausgewählt werden können. Trotz der vielen Tasten, die zunächst an die Spielabläufe des Klavierspiels denken lassen, ist die Orgel von ihrer Klangerzeugung her ein Blasinstrument. Ihre musikalische Qualität wird daher entscheidend vom guten und richtigen Atem bestimmt, der von einer komplexen und weit verzweigten Gebläseanlage erzeugt wird: dem Orgelwind. Die Windversorgung erfährt in der langen Entwicklungsgeschichte der Orgel immer wieder einschneidende technische Neuerungen. In der Katharinenkirche befindet sich die Gebläseanlage außerhalb des Kirchenraumes im Turmraum, damit in der Kirche keinerlei Motorgeräusche zu hören sind. Dieses große Gebläse kann bis zu 53.000 Litern Luft in der Minute bewegen.
weiterführende Literatur
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Spieltisch, Manuale, Pedal
Blick auf das Pfeifenwerk des Hauptwerks
2006
Die Orgel als raumfüllendes Instrument
Der Königin der Musikinstrumente zu begegnen, kann nur dann gelingen, wenn das Hören zu einem ganzheitlichen Erlebnis wird – das heißt, nicht nur mit den Ohren erfolgt, sondern die vom Orgelklang ausgehenden Schwingungen mit dem gesamten Körper erspürt werden. Kein anderes Musikinstrument geht mit dem Raum eine so untrennbare Symbiose ein wie die Orgel; vom ersten planenden Gedanken bis zum letzten, in den Raum hinein intonierten Pfeifenton, entsteht jeweils ein absolutes Unikat, das ohne den Raumklang Entscheidendes seiner musikalischen Persönlichkeit verlieren würde. Im Ostchor der Katharinenkirche steht die Hauptorgel auf der Orgelempore und entsendet ihre Klänge aus der Höhe – was ihre Begabung zur Transzendenz unterstützt. So heißt es auch oft überpersönlich: „Die Orgel spielt“, und der Spielende tritt in den Hintergrund; seit 2006 „spielt“ in der Katharinenkirche die Woehl-Orgel. Der eigentliche Standort der Orgel drängt sich dabei nicht gleich auf, doch ist die über acht Meter hohe Raumplastik des Orgelgehäuses mit ihren bis zu 6 Meter hohen sichtbaren Pfeifen bald ausgemacht. Das Orgelgehäuses ist überwiegend in einem grünen Farbton gehalten, was komplementär zum Sandsteinrot des Kirchengebäudes eine harmonisch Zwiesprache hält. Auch die Proportion der großen Orgelarchitektur – immerhin die Größe eines dreistöckigen Wohnhauses – folgt harmonischen Gesetzen: Der goldene Schnitt ist in allen Maßzahlen bestimmend und lässt den Gesamteindruck beinahe zierlich erscheinen.
weiterführende Literatur
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Der Königin auf ihrer Empore
Orgelprospekt auf der Empore, Relief von der Seite
2006
Die Stimme der Katharinenkirche
Die Orgel wurden von Gerald Woehl über einen Zeitraum von acht Monaten vom Kirchenraum aus intoniert und hat dadurch eine enorm differenzierte Farbigkeit und Ausdruckskraft gewonnen. Charakteristische Zungen, brillante Flöten, farbige Streicher und ein machtvolles, jedoch nie starkes Plenum sind als Ergebnis der leidenschaftlichen Arbeit am Klang heute zu hören. Daneben ist auch der weiche Charme des romantischen Walcker-Klanges vernehmbar. Rückgrat des großen Klanggebäudes ist die differenzierte offene Windversorgung mit zehn Bälgen, die für einen Luftstrom von bis zu 53.000 Liter Luft in der Minute sorgen.
weiterführende Literatur
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Die Woehl-Orgel in voller Pracht - als Raum- und Klangskulptur
2006
Die Woehl-Orgel
Beim Bau der Woehl-Orgel im Jahr 2006 wurde das vorhandene Walckersche Pfeifenmaterial zum Teil wiederverwendet. Immerhin konnten 19 Register der Walcker-Orgel auf die ursprüngliche Bauform und den damit intendierten Klangcharakter zurückführen werden. Die Orgel hat heute, wenn man so will, einen deutschromantischen Kern, der von der Werkstatt Gerald Woehl zu einem überaus harmonischen und vielseitigen sinfonischen Gesamtkonzept ergänzt wurde. Disponiert in 57 klingenden Registern – verteilt auf 3 Manuale und Pedal – entstand ein raumfüllender, poetisch wie dramatisch ausdrucksmächtiger Klang, dessen Einzelklangfarben, zu mehr als der Hälfte in überaus effektiven Schwellkästen stehend, von überraschend dynamischer und räumlicher Wirkung sind.
weiterführende Literatur
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Gambe 8‘ von Walcker im Hauptwerk, deutlich erkennbar am helleren oberen Pfeifenkörper: die gekürzte und damit klanglich stark veränderte Pfeife wurde bei der Restaurierung wieder auf ihre ursprüngliche Länge und Klangcharakteristik zurückgeführt
2006
Die Lunge der Orgel
Der Luftstrom für die Erzeugung der Töne wird über ein System von Holzkanälen und Bälgen zu den einzelnen Pfeifen in der jeweils nötigen Menge und dem richtigen Druck geführt werden. Dazu brauchen – wie beim Spielen eines Blasinstrumentes auch – tiefe Töne viel Luft – aber niedrigeren Druck, hohe Töne weniger Luft – aber höheren Druck. So stehen bei den Pfeifen eines jeden Manuals ein Balg für die Tiefe und einer für die Höhe. Auf den Bälgen sieht man rote, an ihrer Oberfläche versiegelte Ziegelsteine liegen. Durch deren Gewicht wird der Druck des erwarteten Klanges der Register genau einreguliert. Sie müssen also genau so auf den Bälgen liegen und dürfen sich auch bei wechselnder Luftfeuchtigkeit nicht mit Feuchtigkeit vollsaugen, wodurch ihr Gewicht höher und der Druck größer würde. Im Pedal mit den größten und tiefsten Pfeifen, die im Orgelgehäuse ganz hinten stehen, gibt es für die große erforderliche Luftmenge sogar drei Bälge, von denen einer besonders auffällt: Er ist ausschließlich für die zwölf tiefsten Töne zuständig. Diese nehmen so viel Raum ein wie die Pfeifen eines kompletten Manualwerkes und klingen für das 32-Fuß-Register. Es reicht hinab bis zu etwa 16 Hertz und ist weniger vom Ohr hörbar als vielmehr mit dem ganzen Körper, aber auch am Vibrieren der Kirchenbänke, zu erspüren.
weiterführende Literatur
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Gebläse und Hauptbalg im Balghaus, im Turmraum platziert und damit vom Kirchenraum aus unhörbar, hier wird die gewaltige Luftmenge erzeugt
Die Bälge sind mit roten Ziegelsteinen beschwert.
1950er
Albert Schweitzer und die Walcker-Orgel
Albert Schweitzer schätzte die von Eberhard Friedrich Walcker gebaute Orgel in der Katharinenkirche so sehr, dass er bei Aufenthalten in Deutschland in den 1950er Jahren stets das Instrument spielte und es schließlich in einem Gutachten, das er zusammen mit dem befreundeten Straßburger Orgelbauer Alfred Kern ausarbeitete, als sehr qualitätvoll und gut erhalten lobte. Dennoch hat die Orgel die Zeit der neobarocken Reformbewegung nicht überstanden und wurde durch eine neue Orgelanlage ersetzt.
weiterführende Literatur
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Albert Schweitzer an der Walcker-Orgel.
1879
Historistische Ausstattungsstücke in der Katharinenkirche
Obwohl die Orgelempore, der Taufstein und die Kanzel recht mittelalterlich daherkommen, sind diese Bauteile der Katharinenkirche erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. In der Stilepoche des Historismus wurden Architekturformen der Romanik und insbesondere der Gotik wieder aufgegriffen. Dabei kommen sowohl detailgetreue Nachahmungen als auch Mischungen von Einzelelementen und architektonischen Zitaten vor. Dies ist an einzelnen Ausstattungsstücken der Katharinenkirche deutlich zu erkennen. Die Orgelempore aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist noch ein eher zögerlicher Versuch mit neogotischen Formen. Als man die Walckerorgel im Jahr 1879 erwarb, wurde ein neogotisches Holzprospekt dafür angefertigt. Mit diesem Prospekt – aus dunklem Holz mit Fialen – erhielt die Orgel samt Empore eine insgesamt gotische Wirkung. Seitdem wurde die Orgel mehrfach umgestaltet; die größte Fiale des neogotischen Prospektes ist heute in der Ausstellung zu sehen.
weiterführende Literatur
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Held, Dorothea: "Im Interesse der Kunst und zur Ehre der deutschen Nation". Zur Wiederherstellung von St. Katharinen in Oppenheim 1689 ‒ 1889. Alzey 2009.
Held, Dorothea: "Im Interesse der Kunst und zur Ehre der deutschen Nation". Zur Wiederherstellung von St. Katharinen in Oppenheim 1689 ‒ 1889. Alzey 2009.
[2]
Schöbel, Tina u.a.: Inventarisierung von Architekturfragmenten und Gipsabgüssen der Katharinenkirche Oppenheim Mai – November 2013. Universität Heidelberg 2014.
Schöbel, Tina u.a.: Inventarisierung von Architekturfragmenten und Gipsabgüssen der Katharinenkirche Oppenheim Mai – November 2013. Universität Heidelberg 2014.
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[4]
Historistische Kanzel
Historistische Orgenempore
1871
Die Walcker-Orgel
Die Oppenheimer Katharinenkirche – nach Dehio die bedeutendste gotische Kirche am Rhein zwischen Straßburg und Köln – erscheint uns heute als Doppelkirche mit hochgotischem Langhaus, Querhaus und Ostchor, einer dreischiffigen Basilika, sowie mit spätgotischem Westchor als ein säulenfreier, sehr hoher und lichter Raum. An der Wand, die beide Räume trennt, wurde 1834 eine neugotische Orgelempore eingebaut. Unter der Empore verbindet ein ausladendes Portal beide Kirchenräume miteinander. Hier errichtete Eberhard Friedrich Walcker im Jahre 1871 – ein Orgelbauer mit einem weltweiten Ansehen – als Opus 272 eine seiner letzten Orgeln.
weiterführende Literatur
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[4]
Neugotische Orgelempore.
Neugotische Orgelempore.
1838
Die Orgeln
Die heute vorhandene Orgelempore im Westen des Langhauses wurde 1838 unter Leitung des Mainzer Provinzialbaumeisters Ignaz Opfermann eingezogen. Mit der Errichtung der Orgelempore in neogotischen Formen wurde der Standort der Orgel vom ehemaligen Ostlettner in der Vierung nach Westen verlegt. Die damalige Orgel stammte aus der Barockzeit und wurde von Johann Friedrich Maerander (Frankfurt) geschaffen. Die Anschaffung einer Walckerorgel aus Ludwigsburg erfolgte 1870/1872. Die heutige Orgel stammt aus der Werkstatt von Gerald Woehl aus Marburg und wurde zu Pfingsten 2006 eingeweiht. Sie besitzt noch 19 Register der historischen Walckerorgel.
weiterführende Literatur
[1]
Broer, Christoph: Die Orgeln der Katharinenkirche. In: Servatius, Carlo / Steitz, Heinrich / Weber, Friedrich: St. Katharinen zu Oppenheim. Lebendige Steine ‒ Spiegel der Geschichte. Oppenheim 1989, S. 473‒488. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Rheinland‒Pfalz. Kreis Mainz‒Bingen: Verbandsgemeinde Nierstein‒Oppenheim. Bearbeitet von Dieter Krienke. Band 18.3. Worms 2011. Generaldirektion Kulturelles Erbe Mainz Dokumentationsarchiv. Schöbel, Tina u.a.: Abschlussdokumentation.
Broer, Christoph: Die Orgeln der Katharinenkirche. In: Servatius, Carlo / Steitz, Heinrich / Weber, Friedrich: St. Katharinen zu Oppenheim. Lebendige Steine ‒ Spiegel der Geschichte. Oppenheim 1989, S. 473‒488. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Rheinland‒Pfalz. Kreis Mainz‒Bingen: Verbandsgemeinde Nierstein‒Oppenheim. Bearbeitet von Dieter Krienke. Band 18.3. Worms 2011. Generaldirektion Kulturelles Erbe Mainz Dokumentationsarchiv. Schöbel, Tina u.a.: Abschlussdokumentation.
[2]
Arens, Fritz: Die Katharinenkirche in Oppenheim. Bau und Ausstattung. In: Servatius, Carlo / Steitz, Heinrich / Weber, Friedrich: St. Katharinen zu Oppenheim. Lebendige Steine ‒ Spiegel der Geschichte. Oppenheim 1989, S. 9‒37.
Arens, Fritz: Die Katharinenkirche in Oppenheim. Bau und Ausstattung. In: Servatius, Carlo / Steitz, Heinrich / Weber, Friedrich: St. Katharinen zu Oppenheim. Lebendige Steine ‒ Spiegel der Geschichte. Oppenheim 1989, S. 9‒37.
[3]
Broer, Christoph: Die Orgeln der Katharinenkirche. In: Servatius, Carlo / Steitz, Heinrich / Weber, Friedrich: St. Katharinen zu Oppenheim. Lebendige Steine ‒ Spiegel der Geschichte. Oppenheim 1989, S. 473‒488.
Broer, Christoph: Die Orgeln der Katharinenkirche. In: Servatius, Carlo / Steitz, Heinrich / Weber, Friedrich: St. Katharinen zu Oppenheim. Lebendige Steine ‒ Spiegel der Geschichte. Oppenheim 1989, S. 473‒488.
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Neugotische Orgelempore mit aktueller Orgel.
2006
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2006
1950er
1879
1871
1838